Die Schwarz-Grüne Landesregierung will die Mindestgrößen für Fraktionen in den Kommunalvertretungen von zwei auf drei Mandatsträger*innen hochsetzen. Dieser Schritt hat eklatante Auswirkungen auf die Abbildung des Wähler*innenwillens in den Kommunalwahlen. Zur Beratung dieser Änderung der Gemeindeordnung in der heutigen Landtagssitzung erklärt Ratsherr Marcel Schmidt, Vorsitzender der SSW-Ratsfraktion Kiel:
„Die geplante Änderung der Gemeindeordnung durch CDU und Grüne im Schleswig-Holsteinischen Landtag ist ein bemerkenswerter Eingriff in die Regeln unserer Demokratie. Beiden Fraktionen geht es darum, ihren Machterhalt über das Ändern der Spielregeln abzusichern: Indem die Mindestgröße für Fraktionen von zwei auf drei Mandatsträger*innen angehoben werden soll, soll die Vielfalt in unserer Gesellschaft, die inzwischen auch den Weg in die Parlamente gefunden hat, von Schwarz Grün zur ‚Zersplitterung‘ der Kommunalparlamente erklärt werden, der es entgegenzuwirken gilt.
Dass die so bezeichnete ‚Zersplitterung‘, mit dem wohl das Schreckgespenst der politischen Verhältnisse in der Weimarer Republik heraufbeschworen werden soll, absolut deplatziert ist, belegt bereits die Situation in der Kieler Ratsversammlung: Die Rot-Grüne Kooperation hat mit lediglich einer einzigen Stimme Mehrheit bisher keine einzige Abstimmung verloren. Sämtliche Haushalte dieser Wahlperiode sind mit klarer Mehrheit und der Zustimmung fast aller Kleinstfraktionen beschlossen worden; das nennt man eine stabile Arbeitssituation. Von ‚Zersplitterung‘ kann keine Rede sein.
Was sich jedoch ändert, ist die Länge der Redelisten. Das aber ist kaum ein Nachteil, sorgt es doch dafür, dass Themen in Rat und Ausschüssen aus vielerlei Perspektiven beleuchtet werden. In der sachlichen Auseinandersetzung bringt das alle voran. Offenbar haben aber Schwarz und Grün im Land kein Interesse, sich ausgerechnet diese gewinnbringenden Argumente anzuhören. Stattdessen wünscht man sich nun auch in den Parlamenten und Ausschüssen die Situation, die man schon aus zahlreichen Aufsichtsräten gewohnt ist. Man möchte unter sich bleiben und gut abgeschirmt von der öffentlichen Wahrnehmung die eigene Machtposition absichern. Auch hier jedoch ist die Zusammensetzung der Aufsichtsratsmitglieder, die sich auf die drei großen Fraktionen reduziert, keineswegs hilfreich. So konnte beispielsweise die ungerechte Bezahlung der Servicekräfte am Städtischen Krankenhaus nur über so viele Jahre fortbestehen, weil seit Jahren immer nur die gleichen Fraktionen, die gleichen Personen im Aufsichtsrat sitzen. Wer vermeiden will, dass im Rathaus intransparente Strukturen entstehen, ist bei der Wahl auf die kleinen Parteien und ihre Fraktionen angewiesen.
Wer diesen Parteien und ihren Fraktionen die Mitarbeit durch Entzug der Fraktionsmittel und der Beteiligungsrechte verwehrt, beraubt die Kommunalvertretungen um ein entscheidendes Korrektiv und um wichtige Aktivposten in der kommunalen Demokratie. Die Auswertung der mit Federführung eingebrachten Anträge der Fraktionen in dieser Wahlperiode zeigt, dass kleine Fraktionen pro Fraktionsmitglied wesentlich mehr Anträge einbringen. Allein die SSW-Ratsfraktion hat seit der Kommunalwahl (Stand: jetzt) 136 politische Anträge federführend eingebracht und damit annähernd so viele wie die um ein Vielfaches größere Fraktion von Bündnis 90/die Grünen mit ihren 141 Anträgen. Pro Fraktionsmitglied kommt die SSW-Ratsfraktion demnach auf 68 Anträge in dieser Wahlperiode (über 15 pro Jahr je Mitglied), während die Grünen bei 12 Fraktionsmitgliedern nur knapp 12 Anträge pro Fraktionsmitglied eingebracht haben (unter 3 pro Jahr je Mitglied).
Daraus darf man schließen, dass gerade die kleinen Fraktionen die ihnen zur Verfügung gestellten Fraktionsmittel zielgerichtet und im Sinne der demokratischen Vielfalt einsetzen und einen politischen Output erreichen können, der den von wesentlich größeren Fraktionen – gemessen an ihrer Mitgliederzahl – gegebenenfalls übertrifft. Das Ergebnis der geplanten Änderung der Gemeindeordnung, nämlich eine große Anzahl an fraktionslosen Ratsmitgliedern, verfälscht im Ergebnis den Wähler*innenwillen. Es entsteht im Resultat eine Zweiklassendemokratie, bei der zwischen denjenigen unterschieden wird, denen Mittel an die Hand gegeben werden, um politisch handlungsfähig zu sein, und denjenigen, deren politische Gestaltungsmöglichkeiten stark beschränkt werden. Leiden werden darunter die vielfältigen kleineren politischen Lager in unserem Land, aber besonders auch die von der Verfassung geschützten Minderheit. Die ihnen zugesicherten Möglichkeiten politischer Beteiligung werden eingeschränkt.
Von der angestrebten Änderung in Mitleidenschaft gezogen werden aber auch die Verwaltungen. Denn die Arbeit, die bis jetzt die Fraktionen erledigen, muss auch nach ihrem Wegfall getan werden. Ohne Fraktionsmitarbeiter*innen sind dafür die schon jetzt bis an den Anschlag ausgelasteten Sitzungsdienste in den Kommunen zuständig. Die dadurch zu erwartenden Verzögerungen und Abstimmungsprobleme werden die Arbeit der Kommunalparlamente weitaus stärker beeinträchtigen als die Auseinandersetzung mit den zumeist fundierten Redebeiträgen der kleineren Fraktionen.
Den kleineren Fraktionen jetzt also durch eine von oben durchgesetzte Änderung der Spielregeln ihre Arbeitsgrundlage zu entziehen, können wir nur als tumben und demokratieeinschränkenden Versuch deuten, sich einer unliebsamen politischen Konkurrenz zu entledigen, der die Arbeitsfähigkeit der Kommunalparlamente zudem in Bedrängnis bringt.“